22. Carline Mohr & Fabian Schrum: Mit der Community zum Wahlsieg – Politisches Community Management

von | 20. März 2025 | Einhorn und Glitzer

Zuletzt geändert am 20. März 2025


“…. weil gerade der Kampf gegen rechts natürlich auch aus der Historie betrachtet. Und das ist sehr wichtig für die Sozialdemokratie, dass man sagt, das hier ist am Ende auf jeden Fall unser Gemeinsames. Wir stehen gegen rechts und zeigen dort eine klare Kante.”

Direkt zum Podcast

Shownotes

Takeaways

“Und das was strategisch dahinter steckt und das finde ich eigentlich ganz amüsant ist, dass ganz viele noch nicht verstanden haben, dass sie ohne Community-Management und ohne Kommentare keine Reichweiten mehr bekommen werden.”

„Das ganze Internet ist voll mit Menschen, die intrinsisch motiviert sind, die SPD zu unterstützen. Wir haben eine Community.“ Für die ehemalige Journalistin Carline war das eine Offenbarung: „Im Journalismus hast du keine Communities, sondern Leserinnen und Leser. Und das versucht man immer aufzubauen und mit irgendwelchen Leserforen und was nicht alles. Aber dass da einfach Leute sind, die von sich aus schon Bock haben, das war völlig neu für mich.“

Dieses Potenzial zu erkennen ist eine Sache – es strategisch zu nutzen eine ganz andere. Der Trick dabei: Sie stellten ihre Initiative als Lösung für ein bekanntes Problem dar. „Was die Parteiführung damals verstanden hat, ist, dass wir sehr viele schlimme Kommentare haben bei Facebook, bei Instagram, bei Twitter und dass man damit ja irgendwas machen müsste“, erinnert sich Carline. „Das stimmt auch. Das war aber überhaupt nicht meine Priorität, ehrlicherweise. Weil das, was ich machen wollte, war mit dieser Community, die es hier gibt, also mit den Leuten, die aktivierbar sind, wollte ich irgendwie was Cooles machen.“

Eine klassische Umgehungsstrategie, die in großen Organisationen oft notwendig ist: „Ich habe dann aber gesagt, ja, wir brauchen dringend jemanden für Community wegen der Kommentare. Und das ist wichtig. Und das war damals auch ein großes Thema in der Presse… Und dadurch habe ich dann Fabis Stelle durchbekommen.“

Die Telegram-Revolution im Wahlkampf

Statt nur Kommentare zu moderieren, etablierten Carline und Fabian einen Telegram-Kanal, der schnell zum zentralen Kommunikationsinstrument wurde. Bereits während des Prozesses zur Wahl des Parteivorsitzes erschlossen sie damit neue Möglichkeiten der direkten Kommunikation.

„Wir hatten den Telegram-Kanal damals schon, weil wir während des Prozesses der Parteivorsitzenden schon immer wieder so Kleinigkeiten der Community gegeben haben“, erläutert Fabian. „Die konnten exklusiv den Kandidatinnen Fragen stellen und dann haben die in einem fantastischen Format, das damals geboren ist, dem Podcastchen, also quasi einer moderierten Sprachnachrichten, die die Community auf ihre Handys bekommen hat, da Informationen zum Prozess bekommen.“

Der Erfolg ließ sich in konkreten Zahlen messen und präsentieren: „Wir bekommen mehr Klicks auf einen Link bei Telegram als bei Facebook“, konnten sie der Parteiführung demonstrieren. Selbst bei vermeintlich unattraktiven Themen wie der Bodenwertsteuer erreichten sie mit kreativen Grafiken eine beachtliche Verbreitung: „Diese Kachel ist schon alleine 30 Mal bei Twitter aufgetaucht, irgendwie zehnmal bei Instagram und das, obwohl es um völliges Quatschthema geht, wir bei Telegram gerade erst im Aufbau sind.“

Innovative Formate jenseits der Parteifloskel

Was Carline und Fabian von klassischer Parteikommunikation unterschied, war ihr Ansatz, wirklich brauchbare und unterhaltsame Inhalte zu produzieren. Sie brachen mit den üblichen Schablonen:

Erklärkacheln statt cleaner Designs
„Normalerweise, wenn du über Social Media Kommunikationen redest, sagst du, dass eine Kachel möglichst clean sein soll, mit einer starken Botschaft drauf“, erklärt Fabian. „Und unsere Erklärkacheln haben damit komplett gebrochen. Das war ein mit Text überladener Sauhaufen, wo du nicht mal mehr ein hübsches Design draufbringen konntest.“ Doch genau diese mit Fakten überladenen Grafiken explodierten regelrecht in der Verbreitung.

Der Faktenfunk gegen Fake News
„Eines der Themen und Kanäle, die am Anfang einfach am besten von allen funktioniert haben, war der Faktenfunk“, berichtet Carline. „Auch damals haben wir uns schon täglich mit der verfluchten AfD auseinandergesetzt.“ Sie entwickelten ein Format, das Falschbehauptungen fundiert widerlegte: „Was sagt die AfD? Was stimmt daran? Was stimmt nicht? Was kannst du sagen? Was ist die Position der SPD?“

Das Podcastchen per Sprachnachricht
Ein besonders innovatives Format war das „Podcastchen“ – kurze, moderierte Audiobeiträge, die über Telegram verbreitet wurden. „Ihr müsst euch das vorstellen, es war nicht nur ein Sendekanal, sondern die Leute konnten uns auch schreiben“, erklärt Fabian. „Die Leute konnten uns Sprachnachrichten schicken. Und wir haben daraus dann ein Podcastchen aufgenommen und das kam wieder zurück. Also sie hatten plötzlich das Gefühl, sie haben einen direkten Draht ins Willy-Brandt-Haus.“

Sozenliebe statt Weihnachtsgrüße
Statt der üblichen Weihnachtskacheln mit besinnlichen Parteibotschaften wählten sie einen persönlicheren Ansatz: „Habt ihr euch vielleicht in der Partei verliebt?“, fragten sie die Community. „Wir haben dann Geschichten eingesammelt und dann haben ganz viele Leute erzählt, ja, ich habe damals vor 40 Jahren die Erika auf einer Parteiveranstaltung in Buxtehude kennengelernt und jetzt sind wir lange zusammen verheiratet“, erzählt Fabian. Diese Geschichten boten nicht nur Unterhaltung, sondern stärkten auch das Gemeinschaftsgefühl.

Live-Events und Echtzeit-Interaktion

Ein Höhepunkt ihrer Community-Arbeit waren die Live-Events während der TV-Duelle. „Wir haben InfluencerInnen ins Willy-Brandt-Haus eingeladen zum Public Viewing“, erzählt Carline. „Wir hatten eine Taskforce oben im Willy-Brandt-Haus sitzen von den Leuten, die inhaltlich sich richtig gut auskennen.“

Dieses Setup ermöglichte blitzschnelle Reaktionen: „Wenn Armin Laschet irgendwas gesagt hat, was für mich nicht schlau klang, dann habe ich irgendjemanden von den politisch servisierten Menschen im Willy-Brandt-Haus gefragt, so stimmt das? Was ist da dran? Wie können wir das widerlegen?“ Die Experten lieferten umgehend Fakten und Kontext, die Carline in prägnante Botschaften umwandelte, während ein Kollege die entsprechende Szene heraustrennte. Diese Content-Kombination wurde dann sofort an die Influencer weitergegeben: „Und die haben geballert. Das ist im Prinzip genau dasselbe, was die AfD jetzt macht. Haben wir damals auch schon versucht. Es funktioniert.“

Die Herausforderungen moderner politischer Kommunikation

In der heutigen digitalen Landschaft sieht Fabian grundlegende gesellschaftliche Herausforderungen, die weit über technologische Fragen hinausgehen: „Wenn man heute jetzt auf den Marktplatz geht und dort mit den Leuten redet oder die Wahlkampfstände abläuft und mit den Leuten redet, hat man das Gefühl, man läuft nicht nur an sechs Wahlständen vorbei, sondern mindestens an drei Weltbildern und Analysen, wo die Welt gerade steht.“

Diese Fragmentierung erschwert die demokratische Debatte: „Das ist ein massives Problem auch für das Demokratieverständnis der Leute, weil an vielen Punkten nicht verstanden wird, wie Politik und Demokratie funktioniert, dass nicht alles immer schnell geht, dass Dinge nicht zackzack umgesetzt werden.“ In diesem Umfeld gedeihen einfache Antworten besonders gut – eine Herausforderung für differenzierte politische Kommunikation.

Moderne Community-Strategien für Parteien

Was würden die beiden heute Parteien für ihre Community-Arbeit raten? Fabians Antwort ist direkt: „Stellt mehr Leute ein. Das ist grundlegend so.“ Carline ergänzt mit einem konkreten Beispiel: „Die AfD hatte also eine Telegram-Gruppe und hat dort Tutorials gemacht, wirklich super niedrigschwellig, wie Leute virale TikTok-Videos erstellen.“

Ein derartiges Empowerment der eigenen Anhänger ist ressourcenintensiv, aber effektiv: „Das ist richtig viel Aufwand, diese Videoschnipsel zu klippen, bereitzustellen, diese Tutorials einzubinden, auch auf Fragen zu antworten. Fände ich super schlau.“

Fabian würde heute noch einen Schritt weitergehen: „Mein Ansatz wäre, unsere Idee und unseren Telegram von damals weiterzuspinnen, wäre heute eine Discord-Community, die ich aufmachen würde.“ Dort könnten verschiedene Kanäle und Räume geschaffen werden, beispielsweise für gemeinsames Streaming politischer Ereignisse: „Heute Abend ist Olaf Scholz bei Maischberger. Wir gucken uns das hier zusammen im Stream an. Und wenn jemand dazu eine Idee hat, dann haut er das gleich rein.“

Die unterschätzte Macht der Kommentare

Ein zentraler Aspekt, den viele Organisationen noch nicht verstanden haben, ist die Bedeutung von Kommentaren und Interaktion für die Algorithmen der sozialen Medien. „Ganz viele haben noch nicht verstanden, dass sie ohne Community-Management und ohne Kommentare keine Reichweiten mehr bekommen werden“, stellt Carline fest.

Sie zitiert aktuelle Daten: „Richard von Blom, das ist der große LinkedIn-Experte, der immer auf einem Datensatz von mehreren Millionen Accounts auswertet, wie LinkedIn gerade funktioniert, hat in seinem aktuellen Report nochmal gezeigt: Ein Kommentar bei LinkedIn ist 12 mal so viel wert wie ein Like.“

Dennoch hält sich die Passivität in der politischen Kommunikation hartnäckig: „Wenn man sich jetzt aber PolitikerInnen oder Parteien anguckt, kommentieren die jemals irgendwelche Dinge? Ich glaube nicht.“ Dies sei „Reichweitengold, Kommunikationsgold, das auf der Straße liegt, das man nur aufsammeln müsste, in den sozialen Netzwerken erfolgreicher zu werden.“

Sechs Tipps für erfolgreiches Community-Management

Zum Abschluss teilen Carline und Fabian ihre sechs wichtigsten Tipps für erfolgreiches Community-Management:

  • Community-Management neu denken
    „Es ist super wichtig, dass Leute ein anderes Bild von Community-Management in ihren Kopf kriegen“, betont Carline. „Nämlich, da sitzen nicht irgendwelche Studies im Keller und löschen Facebook-Kommentare, sondern ohne Community-Management wirst du 2025 keinen Erfolg in den sozialen Netzwerken haben.“
  • deine Community wirklich kennen
    „Wer kennt deine Community?“, fragt Fabian. Insbesondere in großen, heterogenen Gruppen wie Parteien ist es entscheidend, die unterschiedlichen Realitäten zu verstehen: „Das ist eine sehr verschrobene Community, aber auch wahnsinnig liebenswürdig. Das muss man, glaube ich, auch in der Kommunikation mit denen auch aus Berlin heraus verstehen, wie so ein Ortsverein hier in Thielenhemme funktioniert.“
  • Kreativ werden und lokale Anknüpfungspunkte finden
    Carline rät, über den Tellerrand zu blicken: „Wirklich kreativ zu werden und etwas weniger bräsig zu sein, wenn es darum geht, diese Community zu finden.“ Selbst bei vermeintlich trockenen Themen wie Bankdienstleistungen könne man regional anknüpfen: „Wir überlegen mal, was interessiert die Leute im Emsland und wie könnt ihr als Bank euch da über einen Seitenarm sozusagen mit einbringen?“
  • Der Community etwas zurückgeben
    „Man muss der Community auf jeden Fall was wiedergeben“, betont Fabian. „Und das meine ich nicht nur im physischen Sinne, sondern auch eine Wertschätzung zurückgibt.“ Dies könne durch exklusive Inhalte, persönliche Ansprache oder einfach ein aufrichtiges „Danke“ geschehen.
  • Community als Freude, nicht als Pflicht
    „Es hilft sich die Community weniger als Pflicht vorzustellen“, rät Carline. „Wenn du Leute hast, die sich plötzlich für das interessieren, was du sagst und was tust, die Fragen stellen, die dich loben, die mit dir reden, dann ist das egal, ob du aus einer Organisation, einer Partei oder einem Unternehmen kommst. Das macht allen Spaß.“
  • Teil der Community sein
    Fabians Abschlussrat: „Es muss dir Spaß machen. Also du musst Teil der Community sein.“ Nur wer sich selbst als Mitglied der Community versteht, kann authentisch kommunizieren: „Du solltest dich da selbst reinfühlen können und sagen können, ja. Und dann kannst du auch sehr schnell merken, was dir selbst Spaß macht und was du dir in dem Moment wünschen würdest, was passiert in dieser Community.“

Sie haben Fragen zum Thema Community Management? Dann melden Sie sich bei mir: Kontakt

Danke an 

Diesen Beitrag teilen

der Community-Management-Podcast

Einhorn & Glitzer – hier direkt anhören

Weitere Themen dieser Kategorie

Newsletter abonnieren

Monatlich neueste Erkenntnisse und Tipps rund um das Thema Community Management

Datenschutz

Erfolgreich abonniert!