Die Aktivierung der Nutzer:innen ist eine der größten Herausforderungen beim Aufbau einer Community. Um diese zu antizipieren, wurde häufig auf das 90:9:1-Prinzip zurückgegriffen. Doch ist der Einsatz dieser Formel für Communities noch aktuell und sinnvoll?
Zu einer der größten und schwierigsten Aufgaben zählt für Sie als Community Manager die Aktivierung Ihrer Nutzer:innen.
In Communities können sich (theoretisch) alle Nutzer:innen einbringen. Doch nicht alle Mitglieder einer Community tun dies zu gleichen Teilen. Um einschätzen zu können, welcher Anteil aktiver Nutzer:innen innerhalb einer Community realistisch ist, greifen viele Community Manager auf das 90:9:1-Prinzip zurück.
Haben Sie gewusst, dass dieses Prinzip mittlerweile als widerlegt gilt? Zumindest für unternehmenseigene Communities und deren Plattformen. Für Social-Media-Fanseiten können Sie das Prinzip nach wie vor heranziehen.
Erfahren Sie, was es mit dem 90:9:1-Prinzip und deren Schwächen auf sich hat und lernen Sie die neuesten The-Community-Roundtable-Studien (CRT) Studien aus den Jahren 2019 und 2022 kennen. Diese zeigen Ihnen, dass die Aktivitäten Ihrer Community-Mitglieder auf Ihrer Plattform oft höher sind, als Sie bisher dachten.
Studien belegen: Aktivierung der Community-Mitglieder weiterhin größte Herausforderung
CMX, eine große amerikanische Community-Management-Organisation, veröffentlicht jährlich einen Branchenbericht. Befragt werden Community-Professionals zum Status ihrer Community, dem Einfluss auf ihre Organisation, den genutzten Metriken und die größten Herausforderungen im Community Management.
Im Jahr 2020 stellte CMX im Rahmen der Umfrage fest, dass für 56 Prozent der teilnehmenden Unternehmen die (eigene) Community ein wichtiger Bestandteil der Organisation ist. 36 Prozent waren der Überzeugung, dass die Community einen positiven Einfluss auf die Unternehmensziele hat. Die größte Herausforderung von Community Managern, die eine Online-Community betreuen, war die kontinuierliche Aktivierung der Mitglieder.
Die aktuelle Studie zeigt, dass sogar 87 Prozent der teilnehmenden Unternehmen im Jahr 2022 davon überzeugt sind, dass eine Community wertvoll für die eigene Organisation ist. 79 Prozent der Studienteilnehmer:innen sind – so wie auch der Großteil 2020 – davon überzeugt, dass ihre Community einen positiven Einfluss auf ihr Unternehmen hat. Auch bei der Frage nach der größten Herausforderung beziehungsweise Frustration, fiel die Antwort der diesjährigen Teilnehmer:innen ähnlich wie im Jahr 2020 aus: Die Mitglieder der eigenen Community aktiv und kontinuierlich einzubinden. In der Studie aus dem Jahr 2022 wurden hier allerdings On- und Offline Communities gemeinsam dargestellt.
Alle Nutzer:innen der eigenen Plattform zu aktivieren ist nahezu unmöglich. Theoretisch können sich alle einbringen, doch nicht alle tun dies. Welches Level an Aktivität können Sie also erwarten? Das Prinzip von 90:9:1 war bisher für viele Community Manager ein bewährtes Werkzeug.
Das 90:9:1-Prinzip im Überblick
Das Prinzip geht zurück auf Jacob Nielsen, der im Jahr 2006 den Beitrag “Participation Inequality Encouraing More Users to Contribute” veröffentlichte. Dort stellte er das sogenannte 90:9:1-Prinzip auf. Diese bezieht sich nicht nur auf Online-Communities, sondern auch auf soziale Netzwerke.
So sind laut Jacob Nielsen 90 Prozent der Mitglieder einer Online-Community inaktiv und tragen kaum oder gar nichts zu dieser bei. Etwa 9 Prozent der Nutzer:innen tragen einen kleinen Teil bei. Es sind 1 Prozent der Mitglieder, die fast für die gesamte Aktivität innerhalb Ihrer Community verantwortlich sind.
Im Umkehrschluss bedeutet es, dass diese 1 Prozent auch für über 90 Prozent aller Inhalte zuständig sind, die innerhalb Ihrer Community erstellt und geteilt werden.
Wie das 90:9:1-Prinzip widerlegt wurde
Die Aufteilung von Jacob Nielsen klingt auf den ersten Blick schlüssig. Doch bereits 2012 konnte die BBC den Ansatz widerlegen. Im Rahmen einer Studie fand der britische Rundfunksender heraus, dass die Teilhabe an einer Community vielmehr die Regel ist – weniger die Ausnahme. Die BBC konnte belegen, dass etwa 77 Prozent der Bevölkerung des Vereinigten Königreichs in irgendeiner Form von Online-Communities aktiv war. Hier blieben nur 23 Prozent über, die als inaktiv bezeichnet werden können. In vielen Fällen handelt es sich dabei um Menschen, die keinen Zugang zu benötigten Technologien oder Wissen haben. Weitere 11 Prozent verfügen über beide Möglichkeiten. Obwohl sie sich den Zugang selbst ermöglichen können, bevorzugen sie es nicht teilzunehmen. Die BBC ging im Jahr 2012 also eher von einem Verhältnis von 23:60:17 aus.
Higher Logic berichtete im Jahr 2020 darüber, dass das 90:9:1-Prinzip nicht mehr im Online-Community-Bereich greift. Laut eigener Aussage muss das Prinzip einer stärkeren Beteiligung von Community-Mitgliedern Platz machen. Weitere Recherchen von Higher Logic haben ergeben, dass Community-Mitglieder in vier Arten eingeteilt werden können:
- Creators erstellen Beiträge und andere Inhalte.
- Contributors interagieren und kommentieren mit diesen.
- Consumers sind damit beschäftigt, die von Creators erstellten Inhalte zu lesen.
- Inactive nehmen kaum oder gar nicht an all den zuvor beschriebenen Aktivitäten teil.
Higher Logic hat zudem ermittelt, dass bis zu 23 Prozent der Community-Mitglieder aktiv Inhalte erstellt und damit zu den Creators zählen – zu den aktivsten Mitgliedern. Bei Contributors und Consumers belief sich die von Higher Logic ermittelte Interaktionsrate auf etwa 33 Prozent. Laut Higher Logic beteiligten sich etwa 20 Prozent der Mitglieder von mittleren und größeren Plattformen zu gleichen Teilen an der Erstellung von Inhalten und lieferten eine entsprechende Reaktion darauf. In den größten Communities, die untersucht wurden, lag die Beteiligung etwa bei 10 Prozent. Damit ist das Engagement einer Community weitaus höher als zuvor angenommen.
Bereits 2009 setzte sich FeverBee mit dem Prinzip und dessen Widerlegung auseinander. Zum einen kann laut Richard Millington niemand erklären, warum nur 1 Prozent der Mitglieder einen Beitrag leisten sollen. Niemand denkt sich, es beteiligen sich bereits 1 Prozent, dann tue ich es nicht mehr. Große Online-Communities wie World of Warcraft überschreiten aufgrund ihrer hohen Zahl aktiver Mitglieder die besagten 1 Prozent. Für Richard Millington sind zudem Content-Kanäle wie YouTube keine echte Community – es sind Content-Kanäle. In seinem Beitrag weist Millington auch darauf hin, dass eine Community nicht nur aus registrierten Mitgliedern besteht. Um ein klareres Bild von der eigenen Community und deren Mitglieder zu erhalten, sollten Sie nur die Anzahl der aktiven Mitglieder betrachten. Diese aktiven Menschen sind auch keine passiven Außenseiter. Diese kümmern sich aktiv um die anderen Mitglieder und kommunizieren entsprechend untereinander. Richard Millington ist der Auffassung, dass Community Manager eine Regel benötigen, die das Aktivitätsniveau derjenigen definiert, die an der Community teilnehmen.
Die The-Community-Roundtable-Studien und das 55:25:20-Prinzip
Die Studie von The Community Roundtable (2019) setzt sich mit internen und externen Communities auseinander. Sie teilten die Mitglieder und deren Engagement in fünf Kategorien. Explore beschreibt die Nutzer:innen, die die Plattform mitgestalten und entdecken. Davon gibt es intern 5 Prozent und extern etwa 8 Prozent. 9 Prozent der Mitglieder einer internen oder externen Community fallen unter die Kategorie Aks & Answer. Das sind die Personen, die Beiträge und Inhalte kommentieren. 15 Prozent der internen und 7 Prozent der externen Nutzer:innen werden zur Share-Kategorie gezählt – sie teilen die vorhandenen Inhalte. 31 Prozent (intern) und 17 Prozent (extern) zählen zu der Kategorie Validate. Diese konsumieren den Content – sie zeigen dadurch ihre Wertschätzung. Inactives machen 40 Prozent der internen und 60 Prozent der externen Mitglieder einer Community aus. Diese Nutzer:innen sind nicht aktiv.
Bereits im Jahr 2016 argumentierte The Community Roundtable, dass Communities komplexe Organismen sind. Es gibt keine Regel, die Engagement-Prozentsätze für jede Community festlegen kann. Denn jede Community ist einzigartig. Auch CRT hat immer wieder mit eigenen Studien festgestellt, dass das Engagement in den Communities durchweg höher war als das 90:9:1-Prinzip behauptete. Das belegt auch die bereits zitierte Studie aus 2019.
Die The-Community-Roundtable-Studie aus diesem Jahr zeigt, dass Online- und Offline-Communities ihre Bedeutung aufgrund der Pandemie festigen konnten. Sie sind der effektivste Weg, um sich weltweit zu vernetzen und zusammenzuarbeiten. Der Großteil der befragten Führungskräfte unterstützen und fördern die internen und externen Communities ihres Unternehmens. Auch The Community Roundtable konnte 2022 erneut belegen, dass Communities einen entscheidenden Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.
Nach über zehn Jahren Forschung konnte The Community Roundtable das 90:9:1-Prinzip mit dem 55:25:20-Prinzip widerlegen. In einer Online-Community …
- erstellen 20 Prozent der Mitglieder aktiv Inhalte, teilen diesen und stellen Fragen (Share, Ask & Answer)
- 25 Prozent validieren und konsumieren diese Inhalte (Validate)
- und 55 Prozent aller Nutzer:innen einer Community sind inaktiv (Inactive).
Die Kategorien beruhen auf dem Community-Engagement-Framework des CRT. Dieses wurde aus dem Work Out Loud-Framework abgeleitet. Gut verwaltete und gepflegte Communities sind wertvolle Mechanismen, um Vertrauen und Beziehungen auf- und auszubauen. Diese sind für ein aktives Engagement erfolgsentscheidend. Das Community-Engagement-Framework teilt das Engagement-Verhalten in vier Kategorien. Auf diese Weise erhalten Sie die Möglichkeit, Ihre Community besser zu verstehen. Die vier Kategorien umfassen Validate, Share, Ask & Answer und Explore.
Messen Sie, welcher Prozentsatz Ihrer Community jedes der genannten Verhaltensweisen zeigt. Auf diese Weise ermitteln Sie, wie passiv, reaktiv, offen oder proaktiv Ihre Community ist. Als Community Manager können Sie Ihre Daten verwenden, um Ihren Community-Ansatz anzupassen oder zu fokussieren. Entwickeln Sie Engagement-Strategien, um Ihre Community schrittweise auf der Engagement-Kurve (des Community-Engagement-Frameworks) weiterzuführen – ohne dabei soziale Anerkennung und Belohnungen außer Acht zu lassen.
Warum sind die Aktivitäten höher?
Warum können gerade auf unternehmenseigenen Plattformen höhere Aktivitäten als 90:9:1 nachgewiesen werden? Das liegt an den Communities selbst. Jede Community ist anders. Große und kleine Gemeinschaften verhalten sich unterschiedlich – vor allem, was ihre Mitglieder-Aktivitäten angeht. Je kleiner eine Community ist, desto größer ist das Engagement. Das Engagement einer fünfköpfigen Community ist prozentual höher als bei einer Community mit 5.000 Mitgliedern. Die Aktivitäten Ihrer Mitglieder sollten Sie auch nicht mit denen eines Content-Kanals vergleichen.
Besonders zwei Gründe sind für das höhere Engagement auf unternehmenseigenen Plattformen verantwortlich:
Für eine Community auf einer eigenen Plattform überwindet Ihre Zielgruppe deutlich mehr Hürden: Sie müssen sich aktiv registrieren und damit engagieren. In einem sozialen Netzwerk werden den Nutzer:innen die Themen in den Feed gespielt. Für eine eigene Plattform müssen sich die Nutzer:innen aktiv registrieren und jedes Mal die Seite wieder neu aufrufen. Bereits dieser Umstand beweist, dass die Nutzer:innen in Communities ein größeres Interesse daran haben, sich an den dort stattfindenden Aktivitäten auch zu beteiligen. Zwar werden Sie weniger Mitglieder in einer Community sammeln als in einem sozialen Netzwerk. Doch werden Sie mehr Interaktion und eine qualitativ hochwertige Form der Kommunikation sowie des Beziehungsaufbaus untereinander erleben. Bei internen Communities, die aus Mitarbeiter:innen eines Unternehmens bestehen, ist die Bindung noch einmal stärker. Schließlich handelt es sich hierbei um die Community des Arbeitgebers und die anderen Mitglieder sind vielleicht bekannte Kollegen.
Auf einer eigenen Plattform können Unternehmen zudem weitaus besser auf die Bedürfnisse der Zielgruppe eingehen. Sie haben die Möglichkeit, die Funktionen und die Tools der Plattform mitzugestalten. Als Community Manager entscheiden Sie, welche Inhalte wann, wie und wo sichtbar werden. Sie sind als Persönlichkeit sichtbar. So wirken Sie noch direkter und authentischer. Ein Effekt, der Ihre Mitglieder dazu motiviert, sich aktiver in der Community zu beteiligen.
Fazit: Was sollten Sie tun?
Konzentrieren Sie sich auf die aktiven und nicht die inaktiven Mitglieder Ihrer Community. Es ist wahrscheinlich, dass Sie ein paar von ihnen aktivieren können. Rechnen Sie aber nicht damit, dass es sich dabei um die Mehrheit der inaktiven Nutzer:innen handelt. Seien Sie sich bewusst: Wer sich nicht (aktiv) einbringen will, wird das auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt tun, egal, was Sie tun.
Freuen Sie sich darüber, dass sich ein paar Community-Mitglieder (re)aktivieren ließen. Ihr Hauptfokus sollte allerdings nicht auf die Reaktivierung inaktiver Nutzer:innen liegen. Weitaus wichtiger und zielführender ist es, neue (aktive) Mitglieder zu gewinnen und die aktiven Mitglieder weiterhin zu bestärken.
Es ist deutlich einfacher, neue Community-Mitglieder zu finden und diese zur Aktivität zu motivieren. Wichtig hierfür ist ein guter On-Boarding-Prozess, so dass die neuen Mitglieder direkt aktiviert werden.
Verschwenden Sie nicht Ihre Energie. Setzen Sie diese gezielt ein und konzentrieren Sie sich zudem auf diejenigen, die bereits in Ihrer Community aktiv sind. Stellen Sie sicher, dass diese (wertvollen) Mitglieder ihre Aktivität halten oder sogar ihr Engagement mit der Zeit intensivieren.
Sie wollen wissen, wie Sie aus Ihren Mitgliedern aktive und engagierte Teilnehmer:innen Ihrer Community machen? Dann schauen Sie sich die Community Curve an. Es ist ein leistungsstarkes Werkzeug für Community Manager. Mit dessen Hilfe können Sie die Mitglieder einer Community in kleinen Schritten dazu bewegen, sich zu engagierten Community-Mitgliedern zu entwickeln. Mehr über die Community Curve erfahren Sie in diesem Beitrag: Die Community Commitment Curve – So aktivieren Sie die Mitglieder Ihrer Community